Antisemitismus

Ein Zugabteil, darin zwei Nonnen und ein junger Mann. Die ältere der beiden Nonnen fragt den Fremden verwundert, ob dieser etwa eine jüdische Zeitung lese. „Ja ich bin Jude und ich werde nach Jerusalem gehen, um dort unter Juden zu leben“ – antwortet der Fremde. Nach längerem Schweigen bricht es aus der jüngeren Nonne heraus, den Tränen nahe: „Jesus war so gütig, wie konntet ihr ihm das antun?“ Worauf der Jude antwortet: „Wissen Sie, junge Dame, ich war nicht dabei, als es geschah. Ich hatte an diesem Morgen einen Zahnarzttermin.“

Diese Szene erzählt der jüdische Schriftsteller Amos Oz so in seinem Roman Judas. Antisemitische Klischees und Haltungen, wie jene der Nonne, die mit ihrer Frage pauschal jeden Juden zum Mitverantwortlichen am Tod Jesu macht, sind bis heute weit verbreitet.

Der im 19. Jahrhundert entstandene Begriff Antisemitismus wird heute als Sammelbegriff für alle ideologisch und rassistisch begründeten Formen von Judenfeindschaft verwendet. Seine Voraussetzungen hat er im christlichen Antijudaismus der Antike. Die Tatsache, dass die jüdische Religion Jesus nie als Messias und Sohn Gottes anerkannte, führte spätestens seit dem Mittelalter zu tendenziösen Darstellungen von Juden in der christlichen Kunst und im Theater. Erst 1965 hat sich das Zweite Vatikanische Konzil in der Erklärung „Nostra Aetate“ für die antisemitischen Phasen in der Geschichte des Christentums entschuldigt.

Die jüdische Philosophin Hannah Arendt schrieb im Jahr 1941:

Vor Antisemitismus ist man nur noch auf dem Mond sicher.

Der christliche Judenhass wurde in der antisemitischen Ideologie des Nazi-Regimes auf die Spitze getrieben. Hannah Arendt wies darauf hin, dass man vor Ideologien nirgends sicher ist. Selbst wenn man zum besagten Zeitpunkt einen Zahnarzt Termin hatte.