Gretchenfrage

MARGARETE.
Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?
Du bist ein herzlich guter Mann,
Allein ich glaub‘, du hältst nicht viel davon.

Mit dieser Frage überrumpelt in Goethes Faust die Margarete – Gretchen genannt – ihren Geliebten den Heinrich Faust.

Als Goethe 1808 den Faust veröffentlichte, sind die grossen Konfessionskriege Geschichte. Die Aufklärung und die immer lauter werdenden Religionskritiker brechen mit alten Denkmustern. Goethes Faust ist bereits ein Kind dieser Moderne. Nicht von einem Gott, auch nicht von einer Konfession, ja nicht einmal von einer Kirche erzählt Faust der Margarete. Im Gegenteil, er drückt sich um eine Antwort:

FAUST.
Laß das, mein Kind! Du fühlst, ich bin dir gut;
Für meine Lieben ließ‘ ich Leib und Blut,
Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.

Faust will das Thema schnellst möglich wieder vom Tisch haben. In einer modernen Fassung könnte seine Antwort auf Gretchens-Frage lauten: Lassen wir das Thema. Über Religion spricht man nicht.

Heute versteht man unter einer Gretchenfrage, jemanden mit einer Frage in einer Sache zu einem Bekenntnis zu bringen, zum Ausdruck seiner Meinung in einem Thema zu drängen. In der Regel handelt es sich dabei um heikle, weil intime – aber gleichwohl um bedeutende Fragen.

In Zeiten von Tinder und ähnlichen Dating-Apps rücken die Gretchenfragen wieder stärker in den Fokus der von Goethe angedachten Alltagssituation:
Nun sag, wie hast du’s mit Geld, Treue und Gott? Du bist ein herzlich guter Mann, allein ich glaub‘, du hältst nicht viel davon…